Lärmverschiebung nein - oder manchmal vielleicht doch?

Im vorher­gehenden Beitrag haben wir versucht, die Hinter­gründe für die über­raschende erwei­terte Nutzung des 'Segmented Approach' zu beleuchten. Hier soll es jetzt darum gehen, wie lärm­verschie­bende Maß­nahmen generell zu bewerten sind.

Wenn Lärm aus Schall­schutz­gründen ver­schoben wird, dann sollen dadurch weniger Menschen betroffen werden, wenn möglich auch von weniger Lärm. Das in Frank­furt für Lärm­schutz-Planung zustän­dige 'Forum Flug­hafen und Region' listet die dafür ins Auge gefas­sten Maß­nahmen unter der Über­schrift Siedlungs­zentren umflie­gen und gezielte Bahn­nutzung auf.
Darin steckt ein wichtiger Hinweis: Lärm wird nicht nur verschoben, wenn neue Flug­routen einge­führt werden, sondern auch, wennn beste­hende Routen anders, d.h. mit verän­derter Inten­sität, genutzt werden.

Tatsäch­lich gehören mit Ausnahme der neuen Route AMTIX kurz alle aktu­ellen Maß­nahmen in die Kate­gorie 'ge­zielte Bahn­nutzung'. Den 'Segmented Approach' (der übri­gens nur aus hier irrele­vanten forma­len Gründen nicht, wie überall sonst auf der Welt, 'Curved Approach' heisst) gab es schon für verspä­tete Nacht­flüge. Eine weitere Maß­nahme ist auf der Grafik ange­deutet. Mit Sicher­heit keine Schall­schutz­maß­nahme, aber für die Betrof­fenen deut­lich hörbar, wird die Center­bahn insbe­sondere in den 'Nacht­rand­stunden' (die eigent­lich Nacht­stunden sind) verstärkt genutzt.
Auf der Grafik nur dadurch sichtbar, dass etwas fehlt, ist die grösste Lärm­verschie­bungs­maß­nahme über­haupt: die Schlies­sung der Nordwest¿½bahn und damit die Verlage­rung aller Lan­dungen auf das Paral­lel­bahn-System. Hierzu gab es keiner­lei Konsul­tatio­nen oder Folge­abschät­zungen, auch die Flug­lärm­kommis­sion wurde nicht gefragt. Dennoch soll diese Ver­schiebe-Maß­nahme durch das von Fraport bei wieder stei­genden Flug­bewe­gungs­zahlen geplante System der rollie­renden Bahn­nutzung verste­tigt werden.

Tatsäch­lich sind bei Ände­rungen von Bahn- oder Routen­nutz­ungen Konsul­tationen der Betrof­fenen gar nicht vorge­sehen. Auch neue Lärm­abschät­zungen gibt es in der Regel nicht. Es wird einfach ange­nommen, dass vor Jahren oder Jahr­zehnten durch­geführte Ab­schät­zungen noch gelten, oder es gilt einfach 'Gewohn­heits­recht'.
Die aktu­ellen Ände­rungen führten zu ganz unter­schied­lichen Reak­tionen. Der 'Segmented Approach' hat je nach Betrof­fenheit stille Befür­worter und laut­starke Gegner. Die verstärkte Center­bahn-Nutzung wird dagegen kaum disku­tiert, obwohl es dabei um mehr Flug­bewe­gungen zu kriti­scheren Zeiten geht. Die Schlies­sung der Nordwest­bahn schliess­lich wird selbst von denen, die angeb­lich gegen jede Lärm­verschie­bung sind, laut­stark begrüsst, während die Betrof­fenen unter dem Parallel­bahn-System sich kaum äussern.

Wenn man solche Maßnahmen nicht nur nach der eigenen Betrof­fenheit bewerten will, muss man über­legen, welche Krite­rien dafür ange­messen sein könnten. Die Befür­worter dieser Art von Schall­schutz gehen davon aus, dass ein (lautes) System wie der Flug­hafen dann optimal einge­richtet ist, wenn die auf­summierte Beläs­tigung im Umfeld den unter den gege­benen Beding­ungen kleinst­möglichen Wert erreicht. Das Instru­ment dafür ist der Frank­furter Flug­lärm­index, der genau das tun soll: aus den Schall­immis­sionen an jedem Ort im engeren Umfeld des Flug­hafens und der Zahl der dort lebenden Menschen eine Art 'kumu­lierte Beläs­tigung' zu berech­nen. Durch Hin- und Her­schieben der Flug­bewe­gungen wird diese Zahl mini­miert und damit op­maler Schall­schutz erreicht.
Der Ansatz mag zunächst plausibel klingen, hat aber zahl­reiche Tücken und Fall­stricke. Zum ersten hat der FFI viele hand­werk­liche Mängel, und es gibt durchaus Zweifel, ob es über­haupt eine sinn­volle Meß­grösse geben kann, die die Belas­tung durch Flug­lärm in einer Zahl zusammen­fasst. Zweitens ist die Frage, ob die subjek­tiv empfun­dene Beläs­tigung wirk­lich hin­reichend gut durch den 'äquiva­lenten Dauer­schall­pegel', gemessen über einen sehr langen Zeit­raum, vorher­gesagt werden kann und ob sie über­haupt ein geeig­netes Maß für die durch Flug­lärm hervor­gerufenen Belas­tungen ist. Fluglärm erhöht das Risiko für eine ganze Reihe von Erkran­kungen, die durchaus unab­hängig von der empfun­denen Beläs­tigung entseen können.

Vor allem aber setzt diese Methode des Schall­schutz voraus, dass es über­haupt zulässig ist, Menschen zu entlasten, indem andere Menschen dafür neu oder stärker belastet werden. Dafür muss der Flug­lärm für die Neu­belas­teten als "zumut­bar" dekla­riert werden. Real­poli­tisch-prag­matisch geschieht das durch einen Blick ins Gesetz. Wenn dort ein entspre­chender Grenz­wert defi­niert ist, dann ist alles, was drunter liegt, zumut­bar und kann theoretisch jedem und jeder aufer­legt werden. Das geschieht, wenn Menschen ein Industrie­schlot vor die Nase gesetzt, eine Umgehungs­strasse vors Fenster gebaut oder eben auch eine Flug­route über den Kopf gelegt wird.
Das Problem dabei ist aller­dings, dass sich bis auf die Luft­verkehrs­wirt­schaft und ihre Lobby­isten alle einig sind, dass die Grenz­werte des sog. 'Flug­lärm­schutz­gesetzes' völlig unzu­reichend sind und auch die Prota­gonisten dieser Schall­schutz-Methode dagegen protes­tiert haben, sie aber trotzdem anwenden. Für andere Lärm- oder Schad­stoff-Grenz­werte gilt das in ähn­licher Weise.

Wenn man aber davon ausgehen muss, dass die gesetz­lich fest­gelegten Belas­tungs­grenz­werte (für Lärm, für Schad­stoffe und für manches andere) nicht wirk­lich die Gesund­heit und die Umwelt schützen, sondern nur Kompro­misse sind, "Ergebnis eines politi­schen Abwä­gungs­prozes­ses: gesund­heit­liche Verbes­serungen versus Machbar­keit und Kosten der zu ergrei­fenden Maß­nahmen", wie sollte man poli­tisch damit umgehen?
Auf diese Frage gibt es natur­gemäß unter­schied­liche Ant­worten. Wir bevor­zugen fol­gende: "die Gesund­heit der Menschen und der Schutz der Umwelt müssen oberste Prio­rität habenwirt­schaft­liche Inter­essen sind dem unter­zuordnen. Unver­meidbare Belas­tungen sind so zu verteilen, dass die Risiken für Gesund­heit und Umwelt mini­miert werden". Konkret ange­wendet auf den Flug­lärm und die damit verbun­dene Schad­stoff-Belas­tung heisst das, dass die Zahl der Flug­bewe­gungen auf das absolut notwen­dige Maß redu­ziert werden muss. Dann noch notwen­dige Flüge müssen so organi­siert werden, dass die Belas­tungen minimiert werden. Das heisst, dass die beson­ders kriti­schen Zeiten absolut geschützt werden (Nacht­flug­verbot von 22 - 6 Uhr) und die Flüge in der übrigen Zeit so durch­geführt werden, dass sie mög­lichst wenig Lärm und Abgase erzeugen. Dass wiederum heisst, es wird dort geflogen, wo mög­lichst wenig Schall bei den Menschen ankommt.

In der aktuellen Aus­einander­setzung folgt daraus, dass die dogma­tische Position "keine Lärm­verschie­bung" (die ohnehin niemand wirk­lich ernst­haft und konse­quent vertritt) nicht ziel­führend ist. Natürlich sind Maß­nahmen wie der 'Segmented Approach' zwie­spältig und doppel­deutig, wie die meisten Reformen: sie bringen nur begrenzte Fort­schritte, haben häufig nega­tive Neben­wirkungen und stabili­sieren ein System, das eigent­lich abge­schafft gehört. Manchmal sind aber auch die kleinen Fort­schritte dringend nötig, zeigen, dass Dinge verän­derbar sind und ermu­tigen dazu, weiter und konse­quenter für die eigenen Inter­essen einzu­treten. Man darf aller­dings nicht den Fehler machen, die erreichten Zwischen­ergeb­nisse für die eigent­lichen Ziele zu halten oder sie sich dafür verkaufen zu lassen.
Das ist übrigens beim Passiven Schall­schutz ganz ähnlich. Wirk­same Schall­dämmung an Fenstern und Dächern und effi­zien Lüftung (nichts davon gibt es bisher von Fraport) sind für diejenigen, über deren Köpfen der Lärm so schnell nicht ver­schwinden wird, eine deut­liche Erleich­terung, aber nur Schulte, Spohr & Co. können wohl behaupten, dass damit alle Probleme gelöst wären.

Aber natür­lich bringt nicht jede Verän­derung auch einen Fort­schritt. Es gibt eine Reihe von Krite­rien, die erfüllt sein müssen, damit z.B. ein Probe­betrieb für ein verän­dertes Flug­ver­fahren über­haupt in Betracht kommen kann. Einige davon sind bisher nur auf dem Papier erfüllt, aber unzu­reichend umge­setzt, wie eine fun­dierte und transpa­rente Vorab­schätzung, welche Verbes­serungen und Verschlech­terungen zu erwarten sind und wie sie bewertet werden. Dazu gehört z.B. auch, dass nicht einige wenige Menschen extrem hoch belastet werden, auch wenn in der Gegen­rechnung viele ent­lastet werden könnten. Bisher heisst es nur, dass die Zahl der Höchst­beläs­tigten nicht zunehmen soll. In diesem Lärm­bereich sind die Gesund­heits­risiken aber bereits so groß, dass das keine Frage für die Statistik sein darf. Kein Indivi­duum darf einer derar­tigen Belastung ausge­setzt werden, auch wenn dafür mehrere andere aus dieser Gruppe heraus­fallen. Bela­tungen dieser Größen­ordnung müssen so schnell wie mög­lich besei­tigt werden.
Das Lärm­monito­ring darf sich nicht nur auf über­wiegend unzu­reichende Berech­nungen stützen, sondern muss unbe­dingt umfang­reiche Messungen an alle rele­vanten Stellen und darauf gestützte Model­lie­rungen ent­halten.
Unver­zichtbar ist auch, dass allen, die Verschlech­terungen hinnehmen müssen, noch vor der endgül­tigen Umset­zung einer Maßnahme alle notwen­digen Kompe­sations­maßnahmen, insbe­sondere auch ausrei­chender passiver Schall­schutz, auf Kosten der Betreiber ange­boten werden. Das gegen­wärtige System der völlig unzu­reichend dimensio­nierten 'Lärm­schutz­zonen', die nur alle paar Jahre mal ebenso unzurei­chend über­prüft werden, taugt dazu absolut nicht. Und natür­lich muss bei der endgül­tigen Varianten-Auswahl neben der unverzicht­baren Sicher­heit des Verfahrens die Minimie­rung der Lärmbe­lastung ganz oben stehen, nicht wie bihr die Kapazität.

 

Keine einzige der aktuell umge­setzten, geplanten oder disku­tierten Maß­nahmen hält diesen Kriterien stand. Solange hier nicht von Fraport, Luft­hansa und Verkehrs­ministerium deut­lich nachge­bessert wird, sind sie alle abzu­lehnen. Sie grund­sätzlich ganz auszu­schliessen, ist aller­dings auch nicht der richtige Weg.

Quelle: https://www.bi-fluglaerm-raunheim.de