Vergiftender Lobbyismus

Am 25. Januar hat die New York Times eine weitere Runde im Diesel­skandal einge­läutet mit der Veröf­fent­lichung eines Tier­experi­ments, das bereits in einem Prozess gegen VW in den USA eine Rolle gespielt hat. Die Zeitung benennt den Auftrag­geber des Experi­ments, die wissen­schaft­lichen Mängel und die ethische Bedenk­lich­keit.
Drei Tage später machte die Stutt­garter Zeitung bekannt, dass der gleiche Verein, der den Tier­versuch beauf­tragte, auch einen Versuch an Menschen geför­dert hat, der in Aachen durch­geführt wurde. Das wahre Ausmaß der Menschen­versuche hat aller­dings erst eine Satire-Zeit­schrift aufge­deckt.

Nach diesen Veröffent­lichungen haben sich sowohl Konzern­spitzen als auch Politik pflicht­gemäß betrof­fen gezeigt und Unver­ständnis, Betrof­fen­heit, Abscheu etc. geäus­sert. Zumindest bei VW, Daimler und BMW hätten die Vorgänge aller­dings bekannt sein müssen. Sie hatten 2007 zusammen mit der Firma Bosch beschlossen, die 'EUROPÄ­ISCHE FOR­SCHUNGS­VEREINI­GUNG FÜR UMWELT UND GESUND­HEIT IM TRANS­PORT­SEKTOR E. V. (EUGT)' zu gründen, um u.a. "wissen­schaft­liche Publika­tionen auf dem Gebiet des Umwelt- und Gesund­heits­schutzes" zu unter­stützen. Sie hat diese Versuche bezahlt, und die Träger wurden regel­mäßig über die Tätig­keit des Vereins unter­richtet.
Bosch stieg 2013 wied aus, die anderen beschlossen 2016, den Verein aufzu­lösen. 2017 war er abge­wickelt, seine Web­seite vom Netz genommen, alle Doku­mente gelöscht. Warum, ist nicht ganz klar, aber viel­leicht einfach wegen Inef­fizienz. Um in mehreren Jahren 19 Fach­veröffent­lichungen zu sponsorn, 5 News­letter a 3-6 Seiten und ein paar Berichte zu produ­zieren, braucht man keinen Verein.
Da das Netz aber nichts vergisst (höchstens versteckt oder verschlampt), können die meisten Doku­mente trotzdem noch gefunden werden, u.a. eine Broschüre, die über die Tätig­keit des Vereins 2012-2015 berichtet.Drin werden die betei­ligten Personen vorge­stellt und auch die beiden jetzt kriti­sierten Versuche beschrieben.

Das Klinikum der RWTH Aachen verteidigt in einer Presse­mittei­lung den dort durch­geführten Versuch. Er habe nichts mit Diesel­abgasen zu , sondern beschäf­tige sich nur mit der Wirkung von Stick­stoff­dioxid am Arbeits­platz. Tatsäch­lich bezieht sich die zur Studie gehö­rende Ver­öffent­lichung auch nur darauf, die EUGT-Bro­schüre nutzt die Ergeb­nisse aller­dings für ihrergumen­tation.
Der Affen-Versuch findet kaum Vertei­diger und führte auch zu ersten Konse­quenzen. Der Leiter der Konzern-Außen­bezieh­ungen und des Bereichs Nach­haltig­keit bei VW und Ex-Sprecher der Auto-Kanzler Schröder und Merkel, der für die VW-Betei­ligung bei EUGT verant­wortlich war, wurde beur­laubt und wird wohl prak­tischer­weise die Verant­wortung mit in einen vergol­deten Ruhe­stand nehmen. Auch Daimler hat seinen Vertre­ter im EUGT-Vor­stand zunächst frei­gestellt.
Dass es aber bei der ganzen Angele­genheit um mehr geht als um die mora­lische Bewer­tung von ein oder zwei Versuchen, verdeut­licht ein Kommen­tar von Lobby­control:

"Außer den Affen und 25 Frei­willigen mussten vor allem Mil­lionen Menschen unfrei­willig schäd­liche Diesel­abgase einatmen, weil die Auto­konzerne mit ihren Abschalt­einrich­tungen betrogen hatten. Forscher gehen davon aus, dass allein in Europa rund 5000 Menschen pro Jahr wegen der Abgas­manipula­tionen früh­zeitig sterben."


Zugleich weist der Kommentar auch auf die Rolle des EUGT-Bei­ratsvor­sitzenden Greim als bekanntem Indus­trie-Lobby­isten hin.
Zu Quellen und Wirkungen von Stickoxiden gibt es allerdings noch mehr zu sagen, als der Kommentar hier erwähnt.

Andere Persona­lien spielen demgegen­über bisher in der Bericht­erstat­tung kaum eine Rolle. So wird nur gelegent­lich am Rande darauf hinge­wiesen, dass bis Ende 2014 auch ein Fraport-Manager im EUGT-Vor­stand war: Max Conrady, damals 'Abteilungs­leiter Umwelt­auswir­kungen' der Fraport. Was er da wollte und tat, bleibt aller­dings im Dunkeln.

Schon die Grafik lügt: eine Höhenzunahme von rund 6% sieht aus wie eine Verdopplung

Die fünf Newsletter, die zwischen 2011 und 2014 erschienen, behandeln zwar Themen, die auch für Fraport interes­sant sein könnten oder sollten ('Lärm', 'Nano-Partikel', 'Bio-Kraft­stoffe, 'Diesel-Abgase', 'Risiko'), erwähnen aber den Luft­verkehr mit keinem Wort. Auch bei den o.g. 19 Veröffent­lichungen ist kein Zusammen­hang ersicht­lich. Unter den 16 Pro­jekten, die der 'Tätigkeits­bericht' auflistet, erwähnt ledig­lich eines den Fluglärm: "Biblio­graphische Analyse der verfüg­baren Literatur­daten zu Verkehrs­lärm mit dem Schwer­punkt Fluglärm". In der Beschreibung heisst es dazu: "Ziel ist, möglichst in verglei­chenden Unter­suchungen die effizien­testen Lärm­minderungs­schwer­punkte bei den unter­schied­lichen Verkehrs­trägern zu identi­fizieren. ... Als Planungs­grund­lage hat EUGT im Jahr 2014 eine biblio­graphi­sche Analyse der verfüg­baren Literatur­daten zu Verkehrs­lärm mit dem Schwer­punkt Fluglärm an der Univer­sitätrank­furt/Main in Auftrag gegeben.". Zu dem Zeitpunkt muss aber bereits klar gewesen sein, dass Conrady zum Jahres­ende aus­scheiden würde. Es ist nicht bekannt, wer für ihn nach­gerückt ist und ob das Projekt über­haupt durch­geführt wurde.
Die Idee ist aller­dings auch weder kreativ noch über­zeugend. Eine Liste ein­schlägiger Forschungs­projekte gibt es zum Beispiel vom Gesund­heitsamt der Stadt Frank­furt schon in der zweiten Ausgabe, und öffent­lich Stimmung in der einen oder anderen Richtung lässt sich damit kaum machen.
Die Skizze des erhöhten Anflug­winkels auf die Nordwest­bahn lässt viel­leicht noch ahnen, welche Themen sie noch im Auge hatten, aber die sind bekannt­lich uch Öko-Institut und 'Mann beißt Hund' bestens abgedeckt.

Eine weitere Person mit Frank­furter Lokal­bezug in dieser Herren­riege ist ein leuch­tender Stern am Medi­ziner­himmel, Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. David Grone­berg, seit 2010 Direktor des Instituts für Arbeits­medizin, Sozial­medizin und Umwelt­medizin der Johann Wolf­gang Goethe-Uni­versi­tät in Frank­furt am Main. Seine Rolle ist insofern dubios, als er nach eigenen Angaben "in den Jahren 2012-2014 ... für die Durch­führung von klini­schen Auftrags­studien ... Zuwen¿½dungen auf ein Dritt­mittel­konto von ... der Europä­ischen Forschungs­vereini­gung für Umwelt und Gesund­heit" erhalten hat - eben jener Verein, dessen Arbeit er im Beirat begleiten sollte. Keine gute Voraus­setzung für eine unab­hängige Kon­trolle.
Immerhin hatte er sich wohl schon vorher mit ethischen Fragen der Wissen­schaft beschäf­tigt, denn laut Wiki­pedia erhielt er einen seiner vielen Ehren­doktor­hüte "während der Olympi­schen Spiele in Peking" vom "Fujian College of Medicine", und das Verhält­nis von Hoch­leistungs­sport und Medizin wirft bekannt­lich eine Menge solcher Fragen auf. Ausser­dem hat er sich "als Mitglied des wissen­schaft­lichen Beirats des Aufklä­rung gegen Tabak e.V. für Rauch­präven­tion auf Schul­ebene durch Medizin­studie­rende" ga­giert, auch wenn es Beschwerden darüber gab, dass er die kriti­sche Aus­einander­setzung mit der Rolle der deutschen Arbeits­medizin in der Lobby­arbeit der Tabak­industrie behin­dert hätte. Mit seinen vielen Tätig­keiten war er aller­dings auch so beschäftigt, dass ihm nicht aufge­fallen ist, dass min­destens eine der rund 50 Doktor­arbeiten, die bei ihm zum gleichen Themen­komplex ange­fertigt wurden, so weit­gehend mit einer frühe­ren, eben­falls von ihm akzep­tierten Arbeit identisch war, dass man wohl von einem Plagiat sprechen muss.
Qualifi­ziert für einen Platz in diesem Beirahatte er sich u.a. wohl insbe­sondere mit einer Polemik gegen Umwelt­zonen, die den Trägern dieses Vereins sicher­lich gefallen hat. Die oben erwähnten 'Auftrags­studien' bestanden zumindest teil­weise aus den beiden folgenden "Studien zur Wirksam­keit von Umwelt­zonen" "auf Feinstaub­konzen­trations­änderungen" bzw. "auf die Stick­oxid­konzen­tration" , die der Tätig­keits­bericht aufführt, wie aus zwei Veröf­fent­lichungen hervor­geht, die Herr Morfeld aus dem EUGT-Beirat (der dafür wahr­schein­lich auch kassiert hat) zusammen mit Herrn Grone­berg und dem EUGT-Geschäfts­führer Spallek ver­öffent­licht hat. Herr Spallek war im Übrigen auch mal Leiter des Gesund­heits­dienstes bei VW und sowohl in Berlin als auhin Frank­furt Mitar­beiter im Institut von Herrn Grone­berg.

Die beiden Studien passen genau ins Profil des EUGT. Dabei ist es fast schon unerheb­lich, ob sie, wie anzu­nehmen, metho­disch sauber durch­geführt sind oder nicht. Die Ergeb­nisse, die sie gelie­fert haben, geben schlicht keine Antwort auf die Fragen, die sie zu stellen vor­geben, werden aber trotz­dem dafür miss­braucht.
Die Studie zu Feinstaub erschien 2014 (auf Deutsch) und unter­suchte die Wirksam­keit von Umwelt­zonen der Stufe 1 (rote Plakette). Eine fach­liche Kritik daran findet sich in einer Studie des Umwelt­bundes­amts zur Wirksam­keit von Umwelt­zonen. Der Kern­punkt ist aber ein anderer. Allen Experten war auch damals schon klar, dass die 'grobe' Fein­staub-Meß­größe PM10 nicht taugt, um die Belas­tungen aus dem Straßen­verkehr zu messen. Sie wurde und wird nur deshalb noch ver­wendet, weil die offi­zielle Luft­qualitäts­politik an diesem Wert fest­hält und auch nur dafür hin­reichend viele Meßwerte exis­tieren. Eine Bewer­tung von Maß­nahmen aus medizi­nischer Sicht auf diese Größe zu stützen, ist schlicht unseriös.
Vor dem Hinter­grund der Auftrag­geber der Autoren eine echte Frech­heit ist aber die zweite Studie zu Stick­oxiden, eben­falls 2014 erschie­nen (auf Englisch). Die Methoden sind die­selben wie in der ersten Studie, daher gilt die fach­liche Kritik des UBA auch dafür. Die Frech­heit liegt aller­dings darin, die Studie über­haupt durchzu­führen. Die Funktion einer Umwelt­zone besteht darin, nur Fahr­zeuge mit (vermeint­lich) niedri­geren Emis­sionen hinein zu lassen und die Dreck­schleudern draussen zu halten. Wenn man aber weiss, dass die niedri­geren Emissionen nur auf dem Prüf­stand exis­tieren, nicht im realen Fahr­betrieb, dann weiss man auch, dass man von dieser Auswahl keine positiven Effekte erwarten darf (ausser viel­leicht dadurch, dass einige Altfahr­zeug-Besitzer abge­schreckt werden und auf den ÖPNV umsteigen). Im Wissen, dass es wegen des eigenen Betrugs nicht funktio­nieren kann, die Maß­nahme als solche schlecht zu machen, ist mehr als unseriös, s st Betrug.

Die Beispiele machen deutlich, wie Konzern-Lobby­ismus Menschen, Tiere und das poli­tische Klima vergiftet. Aber auch wenn es EUGT nicht mehr gibt und (viel­leicht!) die aller­übelsten Exzesse einge­schränkt werden, geht die schmutzige Lobby­arbeit der Auto­industrie unver­mindert weiter. Zwei Beispiele aus den letzten Tagen:
Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, hat eine, natür­lich auch von Lobby­isten der Auto­industrie domi­nierte, Experten­gruppe, die von der Bundes­regierung zur offi­ziellen Bewälti­gung des Diesel­skandals einbe¿½rufen worden war, einen derart dreisten Abschluss­bericht beschlos­sen, dass sich der eben­falls betei­ligte BUND veran­lasst sah, die Zustimmung zu verwei­gern und einen eigenen Bericht vorzu­legen. Und in Brüssel schiessen die Lobby­verbände der Auto­industrie aus allen Rohren gegen einen Plan der EU-Kom­mission, den Grenz­wert für den CO2-Ausstoss von PKW bis 2030 um 30% zu senken, obwohl das tech­nisch keines­wegs ein ambitio­niertes Ziel ist. Dabei schämen sie sich nicht, zu argumen­tieren, dass dieser Grenz­wert auch des­wegen zu niedrig sei, weil es durch die ab diesem Jahr einge­führten Test­methoden nicht mehr ganz so leicht ist, auf dem Prüf­stand zu betrügen.

Dass der Lobby­ismus der Luft­verkehrs­wirt­schaft ganz ähnlich funktio­niert, haben wir in der Ver­gangen­heit schon öfter beschrieben. Ihr jüngster Erfolg ist die geplante Auf­nahme der Abschaf­fung der Luft­verkehrs-Steuer in die GroKo-Koali­tions­verein­barung, die das BBI in einer Presse­mittei­lung kriti­siert. Damit hätte die CSU schon einen Kern­punkt ihres sog. Luft­verkehrs­konzept durch­gesetzt. Auch auf der For­derungs­liste des ADV, der Lobby­organisa­tion der deutschen Flug­häfen, deren Präsident seit kurzem eben­falls Fraport-Chef Schulte ist, steht dieser Punkt ganz oben.
Wie Lobby­ismus in Europa sonst noch funktio­niert, kann man in der gerade erschie­nenen Ausgabe des Lobby­planet Brüssel von Lobby­control nacÂlesen, und auch wer wissen möchte, wieviel Geld (offi­ziell) für solche Tätig­keiten gezahlt wird, kann das in einem aktuellen Report nach­lesen.
Die aktuelle Empö­rungs­welle wird diesen Prozess nicht stoppen. Dafür wäre ein grund­legendes Um­steuern in der Politik hin zu einer umfas­senden Demo­krati­sierung und einer Ein­schrän­kung wirt­schaft­licher Macht not­wendig. Das aber kann nur gelingen, wenn auf allen Ebenen immer mehr Menschen deut­lich machen, dass sie sich diese Zustände nicht länger bieten lassen wollen. Die GroKoa­litio­näre beweisen gerade, dass sie die Letzten sind, von denen eine solche Verän­derung zu erwarten wäre.

Quelle: www.bi-fluglaerm-raunheim.de